BGH legt Gaspreisrebellen an die Kette

Hildesheim. Volker Spieth wirkt konsterniert. Als habe er das alles noch gar nicht richtig verarbeitet. So hatte sich der Geschäftsführer des Mietervereins und Sprecher der Hildesheimer Initiative „Faire Gaspreise“ das nicht vorgestellt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 13. Juni viele Gaspreisrebellen, die in den vergangenen Monaten gegen die steigenden Energiepreise auf die Barrikaden gegangen waren, erst einmal an die Kette gelegt. Die Richter haben entschieden, dass Gaspreiserhöhungen gerechtfertigt sind, wenn der Versorger lediglich seine gestiegenen Bezugskosten an die Verbraucher weitergibt. Diese Weitergabe entspreche der Billigkeit nach Paragraf 315 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (siehe Kasten). Zudem urteilte der BGH, dass Gasversorger keineswegs in einer Monopolstellung seien, da sie „auf dem Wärmemarkt“ in Konkurrenz mit Anbietern anderer Energieträger wie Öl, Strom, Kohle oder Fernwärme stünden. Im konkreten Fall bezieht sich der BGH auf einen Heilbronner Gasversorger, das Urteil hat aber grundsätzliche Wirkung.

In Hildesheim zahlen nach wie vor rund 4.000 Verbraucher unter Berufung auf Paragraf 315 BGB ihre Gasrechnungen an die EVI nur unter Vorbehalt, einige haben die vergangenen Erhöhungen gar nicht mitgemacht und zahlen die alten Preise. Was die „Faire Gaspreise“-Initiative ihren Mitgliedern nun rät, wird sich erst in den nächsten Wochen entscheiden. Die entscheidende Frage ist: Sollten sie hartnäckig bleiben und es darauf ankommen lassen, verklagt zu werden oder nun doch klein beigeben?

„Völlig praxisfern“ und „an den „Haaren herbeigezogen“ findet Spieth die Entscheidung zur Monopolstellung der Gasversorger. So hätten Mieter eben nicht die Chance, sich für eine Ölheizung zu entscheiden, wenn der Vermieter eine Gasheizung im Gebäude installiert hat. „Und Fernwärme gibt es in Hildesheim gar nicht“, so Spieth.

Michael Bosse-Arbogast dagegen bricht zwar nicht in Triumphgeheul aus, wirkt aber auf jeden Fall sehr zufrieden. Der EVI-Chef will noch das schriftliche BGH-Urteil abwarten, um die neue Situation 100-prozentig einschätzen zu können. Doch sehen er und Vertriebsleiter René Hußnätter schon jetzt die Position der EVI gestärkt. „Wir haben durch unabhängige Prüfer stets nachweisen lassen, dass wir bei den Gaspreiserhöhungen nur die Bezugskosten weitergegeben haben“, sagt Hußnätter. Somit stehe die Billigkeit der EVI-Gaspreiserhöhung nicht in Frage. Bosse-Arbogast will nun nicht den Hammer rausholen und den Hildesheimer Rebellen sofort den Gashahn zudrehen. Man werde aber noch einmal mit den Kunden in Kontakt treten, die unter Vorbehalt zahlen, „um unsere Sicht darzulegen“, um später nicht vielleicht doch noch „ernste Gespräche“ führen zu müssen. Die Weiterentwicklung hänge auch von der Haltung der Gegenseite ab. „Die Frage ist“, so der EVI-Chef, „ob Mietervereine und Verbraucherverbände ihre Mitglieder in Prozesse treiben wollen.“

Ein weiteres BGH-Urteil der vergangenen Woche zum Thema Gas wird allgemein als verbraucherfreundlich gewertet. Demnach müssen die Gasnetzbetreiber künftig der Bundesnetzagentur ausführlich und detailliert ihre Preiskalkulation offenlegen. Bosse-Arbogast hat damit nach eigener Aussage kein Problem, solange die Daten nicht an Dritte weitergegeben werden.

Was sagt § 315?
Der Paragraf 315 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) regelt die Leistungen eines Anbieters, in diesem Fall der Energieversorger. Im dritten Absatz heißt es: „Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.“ „Billiges Ermessen“ ist eine juristische Umschreibung für einen angemessenen, fairen Preis. Das heißt: Der Gaspreis ist nur verbindlich, wenn er „fair“ ist. Darauf berufen sich die Gaspreis-Rebellen, die sich weigern, Erhöhungen zu zahlen – denn sei der Gaspreis nicht „fair“, müsse er auch nicht gezahlt werden. Im Ernstfall muss ein Gericht über die „Billigkeit“ eines Preises entscheiden.
—————————————————————————————————————————
(c) 2007 Kehrwieder am Sonntag vom 24.06.2007