Corona-Krise: Die ersten Mieter können nicht mehr zahlen

Foto: Chris Gossmann
Unter vielen Dächern wächst die Angst, wie man die nächste Miete bezahlen soll, wenn in der Corona-Krise plötzlich die Einkünfte ausfallen oder stark schrumpfen.

Corona wirbelt den Mietmarkt gehörig durcheinander. Das Gesetz schützt Mieter, die wegen des Virus in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Von der Mietpflicht befreit sind sie deshalb nicht.

Wenn das Einkommen durch Kurzarbeit und geschlossene Betriebe in der Corona-Krise plötzlich schrumpft oder sogar ganz ausfällt, kommt mancher Mieter bei seinen monatlichen Mietzahlungen schnell in finanzielle Bedrängnis: Droht säumigen Mietern jetzt die Kündigung? Nein,versichern unisono die Hildesheimer Baugesellschaften gbg, kwg und BWV sowie in einer gemeinsamen Erklärung auch der Mieter-und der Haus-und Grundeigentümerverein. Denn Ende März hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, dass niemand seine Wohnung verliert, wenn er zwischen dem 1.April und 30.Juni wegen der Corona-Pandemie seine Miete nicht mehr bezahlen kann. Allerdings gibt es ein großes Aber.

Kündigungsschutz besteht nur, wenn Mietrückstände Folge der Pandemie sind. Bei Zahlungsrückständen aus früheren Zeiten oder anderen Kündigungsgründen ist eine Kündigung weiterhin möglich. Und: Die Miete wird nur gestundet. Mietschulden müssen trotzdem so schnell wie möglich beglichen werden, spätestens aber bis zum 30. Juni 2022.

Dennoch mehren sich sowohl beim Mieter- als auch beim Haus-und Grundeigentümerverein Anfragen verunsicherter Mieter und Vermieter. „Teilweise hören wir kuriose Geschichten, warum jemand nicht mehr zahlen will“, sagt Geschäftsstellenleiter Sebastian Graue von Haus und Grund. „Ob man zum Beispiel seine Miete einbehalten darf, weil der Nachbar Corona hat. “Nein, das darf man natürlich nicht, die Miete muss man trotzdem bezahlen.” Wer sich auf Einkommensausfälle durch Corona beruft, muss den erlittenen Verdienstausfall nachweisen: durch Bescheinigungen von Ämtern oder des Arbeitgebers–oder eine eidesstattliche Versicherung. Sollte sich später herausstellen, dass dabei geschummelt worden ist, ist eine solche Falschaussage eine Straftat.

Auch wenn der Shutdown der Wirtschaft erst wenige Wochen dauert, nehmen die Mietrückstände bereits zu: Gab es bei der Kreiswohnbau (kwg) Ende März Mietrückstände von 21000 Euro–ein durchaus üblicher Wert bei mehr als 4000 Wohn- und Gewerbeobjekten in Stadt und Kreis–, waren es nach Ostern bereits 68500 Euro aus 175 verschiedenen Mietverträgen.

Am härtesten, so die Einschätzung von kwg- Geschäftsführer Matthias Kaufmann, habe die Krise zunächst kleine Gewerbetreibende und Soloselbstständige wie Künstler getroffen, die laut Bundesverband der Wohnungswirtschaft fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Rentner, Beschäftigte im öffentlichen Dienst, Bezieher von Arbeitslosengeld I und II hingegen haben in diesen Tagen die Sicherheit, keine unkalkulierbaren Einbußen verkraften zu müssen.

Die Gemeinnützige Baugesellschaft (gbg), die mehr als 4300 Wohnungen im Bestand hat, merkt die Folge der Krise bislang erst vereinzelt, vermutet aber, dass sich im Mai und Juni auch bei ihr Zahlungsrückstände mehren werden, so gbg-Sprecherin Fenja Nönken. Unabhängig von Corona verzeichnet die gbg eine Mietausfallquote zwischen 1,2 und 1,5 Prozent. Bei der nächsten fälligen Monatsmiete könnte dieser Wert nach oben gehen.

Von„Einzelfällen“ im Mietwohnungsmarkt spricht auch Wolfgang Dressler, Vorstand des Beamten-Wohnungsvereins (BWV), der über 3700 Wohneinheiten verfügt. Noch liege die Mietausfallquote bei unter einem Prozent– doch Dressler wäre nicht überrascht, wenn diese Zahl in den nächsten Wochen keinen Bestand hat. „Im Mai sehen wir klarer.“

Ganz anders die Lage bei gewerblichen Objekten, die bei den drei Wohnungsbaugesellschaften aber nur einen Bruchteil ihres Bestandes ausmachen: Nach dem unrühmlichen Vorbild von Adidas, Deichmann und H&M habe ein großer gewerblicher Mieter umgehend die Einstellung der Mietzahlungen angekündigt, nachdem er wegen der gesetzlich verordneten Ladenschließung keine Umsätze mehr erzielen konnte, erzählt der Chef einer der Baugesellschaften. Mieterverein und Haus-und Grundeigentümerverein stellen jedoch klar: „Wenn der (Gewerbe-)Mieter… seine Arbeit nicht ausführen kann, liegt dies nicht in der Risikosphäre des Vermieters. Ein Mietmangel kommt nicht in Betracht. Es bleibt grundsätzlich bei der Mietzahlungspflicht.“

Gerade kleinere Gewerbetreibende aber mühen sich nach Einschätzung von Dressler redlich, ihre Miete auch in diesen Tagen pünktlich zu bezahlen. Sollte es tatsächlich eng werden, rät Dressler–wie auch seine Kollegen von den anderen Baugesellschaften–dringend, mit dem Vermieter Kontakt aufzunehmen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Für die meisten gewerblichen Mieter bereits eine Selbstverständlichkeit. Viele säumige Wohnungsmieter hingegen ducken sich derzeit weg. Eine pragmatische Lösung des Problems ist das nicht.

Immerhin kommen die Baugesellschaften ihren Mietern in diesen schwierigen Zeiten ein Stück entgegen. Die kwg teilt mit, dass sie auf die Erhebung von Zinsen für die gestundete Miete verzichtet und bis zum 30. Juni keine Mieterhöhungen ausspricht, um ausgesuchte Wohnungen ortsüblichen Vergleichsmieten anzupassen. „Wir wollen damit etwas zur Entspannung beitragen“, so Kaufmann.

Nicht viel anders die gbg: „Bei uns werden für Covid-19-bedingte Mietausfälle keine Zinsen fällig“, versichert Nönken. Zudem verzichte die gbg bis Jahresende gänzlich auf Mieterhöhungen. Auch beim BWV heißt die Marschrichtung: Keine Zinsen bei Corona-Mietstundungen. Und moderate Mieterhöhungen nur dann, wenn durch aktuelle Modernisierungen eine Wohnwertverbesserung erreicht wurde. „Ansonsten sind Mieterhöhungen bei uns kein Thema“, so Dressler.

Grundsätzlich gibt es in der aktuellen Situation aber keine Sonderregelungen für Mieterhöhungen oder Mietminderungen. Alles bleibt, wie es vor Corona war. Aus Sicht der Mieter-und Eigentümervereine reicht die Neuregelung des Kündigungsschutzes nicht aus. „Wir benötigen ergänzend einen staatlichen Solidarfonds, der die Mietrückstände für die Mieter übernimmt und die Miete an die Vermieter zahlt“, heißt es in der Erklärung von Geschäftsführer Volker Spieth (Mieter) und Sebastian Graue (Vermieter).

Denn auch für Vermieter sei die Lage nicht einfach, so Graue. Für manchen privaten Vermieter sind die Mieteinnahmen fest kalkulierter Teil der eigenen Existenzsicherung, zudem brauchen viele Vermieter, die die Wohnung fremdfinanziert haben, diese Einnahmen, um das Darlehen zu tilgen. Und die Betriebskosten sind in aller Regel nur ein durchlaufender Posten, der an andere weitergegeben werden muss.

Die Corona-Pandemie führt in diesen Wochen aber noch zu ganz anderen Ausnahmeerscheinungen: Der Mietwohnungsmarkt ist praktisch zum Erliegen gekommen. „Wir haben einen historisch niedrigen Leerstand“, sagt Matthias Kaufmann. Gerade einmal 50 seiner Wohnungen seien derzeit nicht vermietet, und von denen würden einige gerade renoviert und stünden dem Markt somit gar nicht zur Verfügung. Mehr noch: Es gebe sogar Fälle, in denen Mieter ihre Kündigung wieder zurückgezogen hätten. Das hat der Geschäftsführer in diesem Umfang so noch nie erlebt.

Offenbar trauen sich Mieter derzeit nicht, auf Wohnungssuche zu gehen und sich dabei der Gefahr einer Infektion auszusetzen. Wer nicht mit einem professionellen Unternehmen umzieht, dürfte schon allein wegen der Abstandsregeln Probleme bekommen, seinen Hausrat überhaupt von A nach B zu transportieren.

Der Mieterverein appelliert, auf nicht notwendige Besichtigungen von Wohnungen zu verzichten und das Recht des Mieters auf körperliche Unversehrtheit zu wahren. Gleiches gilt für Reparaturen, die nicht aktuell zwingend notwendig sind. Allerdings kann der Mieter sich auch nicht wie in einer Wagenburg verschanzen, wenn ein Problem keinen Aufschub duldet: Bei notwendigen Reparaturen wie zum Beispiel einem Rohrbruch muss er den Zugang zu seiner Wohnung auch in Corona-Zeiten gewähren.


zum Thema
Pflichten und Rechte
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Mietzahlung stoppen
Das darf ein Mieter nicht nach eigenem Ermessen. Er darf es nur dann, wenn er die Miete oder einen Teil seiner Miete aufgrund von Einkommensverlusten, die auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen sind, nicht zahlen kann. In allen anderen Fällen bleiben Mieter zur fristgerechten Zahlung verpflichtet.*

Glaubhafter Nachweis
Die bloße Behauptung eines Einkommensverlustes reicht nicht aus. Der Mieter muss den Zusammenhang glaubhaft machen. Der Vermieter hat das Recht, einen solchen Nachweis zu verlangen. Eine Versicherung an Eides statt ist nicht zwingend, sondern nur eine Option. *

Miete in Teilzahlung
Der Mieter braucht in der Corona-Krise nur im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit zu zahlen. Der Branchenverband „Die Wohnungswirtschaft Deutschland“ (GdW) empfiehlt, bei 100 prozentigem Einkommensverlust eine 100-prozentige Kürzung, bei 10 Prozent Ausfall eine 10-prozentige Kürzung. Je geringer das Einkommen, desto höher sollte die Mietstundung sein. Rechtlich bindend ist diese Regelung aber nicht.*

Ehepartner haften
Ehepartner müssen den Einkommensverlust des anderen ausgleichen, um eine „Nichtleistung“ der Miete möglichst zu vermeiden –sofern beide Mietvertragsparteien sind und als Gesamtschuldner haften. *

Ersparnisse nicht geschützt
Mieter müssen notfalls auch ihre Ersparnisse einsetzen, um die Miete zu bezahlen. Der Verband rät Vermietern aber zu Augenmaß. „Das Mieter-/Vermieterverhältnis sollte nicht überstrapaziert werden.“ *

*Quelle: Die Wohnungswirtschaft Deutschland

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(c) 2020 Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 16.04.2020
Marita Zimmerhof