„Geht an der Realität vorbei“: Stadt Hildesheim kritisiert NBank-Analyse zum Wohnungsmarkt – andere sehen sich bestätigt

Wachstum oder Schrumpfkurs?

Hildesheim – Braucht es ein großes Neubaugebiet für Einfamilienhäuser wie den Wasserkamp in Hildesheim – oder nicht? Gegner des Vorhabens sehen durch einen neuen Bericht bestätigt. Warum die Stadtverwaltung das ganz anders sieht – und wieso bei einem besonderen Förderprogramm immer noch Stillstand herrscht.

Foto: Chris Gossmann
Wo gibt es in Hildesheim welchen Wohnraumbedarf?
Bei der Frage gehen die Meinungen weit auseinander.

Hildesheim – In der Stadt fehlen Neubauten – vor allem Einfamilienhäuser. Der Stadt fehlt vor allem nicht – ein großes Neubaugebiet für Einfamilienhäuser. Das sind, sehr knapp zusammengefasst, zwei aktuelle Analysen des Hildesheimer Wohnungsmarkts und der Bevölkerungsentwicklung, und beide nehmen für sich in Anspruch, richtig zu liegen. Aber was stimmt? Oder liegt die Wahrheit,wie so oft, irgendwo in der Mitte?

Bericht gegen ein „Weiter so“

Da ist zum einen der neue Wohnungsmarktbericht der landeseigenen NBank, der laut dessen Vorstandsvorsitzenden Michael Kiesewetter „gleichermaßen Lupe und Kompass für die Kommunen und Akteure“ sei. „Der genaue Blick auf die Notwendigkeiten vor Ort ist der erste Schritt zu passenden Antworten.“ Auf die Stadt Hildesheim bezogen kommt der Bericht zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Experten der NBank stufen in ihrer Analyse Hildesheim aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und -prognosen bis 2040 als Kommune ein, die keinen deutlichen Zuwachs an neuem Wohnraum braucht – stattdessen gebe es einen „qualitativen Ergänzungsbedarf“. Soll heißen: Große Neubaugebiete werden nicht gebraucht, gefragt sind stattdessen zum Beispiel mehr barrierefreie Wohnungen im Innenstadtbereich.

In Bezug auf alle niedersächsischen Städte, Gemeinden und Landkreise, die in dieselbe Kategorie fallen wie Hildesheim, heißt es in dem Bericht: „Der verbreitete Lösungsansatz ,Mehr Neubau’ kann bei den gegenwärtigen Herausforderungen künftig nicht als zentrale Maßnahme bestehen. Daher bedarf es neuer oder umfassend angepasster Strategien, die zum Beispiel den Bestand viel stärker als bisher in den Blick nehmen.“

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Volker Spieth, Geschäftsführer des Mietervereins Hildesheim und Umgebung

Eine Empfehlung, die Wasser auf Volker Spieths Mühlen ist. Der Geschäftsführer des Mietervereins Hildesheim und Umgebung, der für die Grünen auch im Stadtrat sitzt, ist zwar durchaus überzeugt, dass es auch zusätzlichen Wohnraum brauche – „aber eben nicht solchen, der auf dem Wasserkamp entstehen soll“. Spieth sagt: „Wir haben Wohnungsnot, aber es ist eine, die einkommensschwache Haushalte betrifft.“ Und diese Menschen könnten sich keine Einfamilienhäuser in einem Neubaugebiet leisten. Wie auch die NBank-Analysten hält Spieth es für dringend erforderlich, „in den Bestand zu gehen“. Also dort, wo es möglich ist, bestehende Gebäude zu sanieren, umzubauen, zu erweitern – und etwas gegen dauerhaft leerstehenden Wohnraum zu tun. „Wir brauchen endlich eine Zweckentfremdungssatzung“, fordert der Geschäftsführer. Die Stadt verweist in diesem Zusammenhang auf noch fehlende rechtliche Grundlagen des Innenministeriums, die erst Mitte 2024 vorlägen.

Förderung läuft noch nicht

Nichts getan hat sich bisher auch bei den Bemühungen, Immobilieneigentümer mit Hilfe von finanzieller Förderung dazu zu bewegen, bisher anders oder gar nicht genutzte Flächen im Stadtgebiet zu Wohnraum zu machen. Ein entsprechendes Programm hatte der Stadtrat bereits vor einem Jahr beschlossen, bis zu 30.000 Euro könnten für jede neu auf den Markt gebrachte Wohnung fließen – wenn denn im Rathaus sich jemand darum kümmern würde. Ab wann das geschieht, steht noch nicht genau fest. Stadtsprecher Helge Miethe erklärt den Stillstand mit „personellen Vakanzen“. Derzeit werde für die Modernisierungsberatung im Rahmen des Programms eine versierte Arbeitskraft gesucht. „Unmittelbar im Anschluss“ solle es dann losgehen.

Während, wenig überraschend, auch die Bürgerinitiativen gegen die Bebauung des Wasserkamps den NBank-Bericht als Bestätigung der eigenen Linie sieht, kritisiert die Stadtverwaltung die Analyse deutlich. Schon vor zwei Jahren, als die NBank für Hildesheim nach einem kurzfristigen Anstieg mittel- und langfristig eine schrumpfende Nachfrage nach Neubauten und Wohnraum prognostizierte, folgte aus dem Hildesheimer Rathaus Widerspruch. Zur neuen Analyse erklärt Stadtsprecher Helge Miethe knapp, sie gehe „an der Realität vorbei“.

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Der Wasserkamp in Itzum: Die Stadt will ihn bebauen – und erntet dafür weiterhin Kritik.

In der Langform geht die Erläuterung so: Die Bevölkerungsprognose der NBank fuße wesentlich auf der Bevölkerungsentwicklung der Jahre 2019 bis 2022. Die Auswertung der kommunalen Statistik zeige, dass diese Jahre insgesamt von einem Bevölkerungsrückgang geprägt gewesen sei, der „ganz wesentlich und direkt“ Folgen der Corona-Pandemie gewesen seien. „Einerseits sind in den Jahren in erheblichem Umfang weniger Studierende in die Stadt gekommen, zum anderen hat auch die Arbeitsmarkt bedingte Zuwanderung sowohl aus dem europäischen Ausland wie auch aus den Bundesgebiet erheblich abgenommen.“ Diese Faktoren spielten aber eine wesentliche Rolle.

Laut Miethe erarbeite die Verwaltung eine eigene, verlässlichere Bevölkerungsprognose. Die werde auch die kommunale Entwicklung von Wohn- und Arbeitsstätten in den kommenden Jahren abbilden und damit Aspekte verarbeiten, die in der statistischen Betrachtung der NBank keine Rolle spielen.

Stadt steht weiter zum Wasserkamp-Plan

Die Pläne für den Wasserkamp seien keineswegs überholt, betont der Stadtsprecher, schließlich habe der Schwerpunkt beim Bauen in den vergangenen Jahren bei mehrgeschossigen Immobilien mit Wohnungen gelegen, Einfamilienhäusern hätten „eine eher untergeordnete Rolle gespielt.“ Das solle sich ändern, eben weil der Bedarf da sei: Es lägen derzeit insgesamt rund 630 Anfragen für Wohnbaugrundstücke bei der Stadt vor – und zugleich gebe es „keinen strukturellen Leerstand“.

(c) 2023 Internetseite Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 08.12.2023 – 07:40 Uhr
JAN FUHRHOP