HAZ-Forum zum Wasserkamp: Engagierter Streit um großes Baugebiet

Und was sagt der Oberbürgermeister dazu? Rainer Breda (links) befragt Ingo Meyer am Stehtisch.
Die Podiums-Diskutanten Andrea Döring, Detlef Hansen, Volker Spieth, Kurt Warmbein und Moderator
Jan Fuhrhop (von links) hören gespannt zu – wie auch die 400 Besucher. Foto: Julia Moras

Die beste Option für mehr Wohnraum in Hildesheim oder die schlechteste?
Beim HAZ-Forum zum Wasserkamp prallten die Sichtweisen aufeinander.
Doch es gab auch Neues – und Grundsätzliches.

Falls der Wasserkamp zum Baugebiet werden sollte, dann nicht das ganze Areal.
Das hat Stadtbaurätin Andrea Döring am Dienstagabend beim HAZ-Forum im Audimax der Universität erklärt. Archäologische Erkenntnisse und Umweltschutz- Vorgaben sprächen gegen eine sogenannte Komplettbebauung. Es gehe also eher um 400 als um 600 Wohneinheiten. Sie betonte zudem, mindestens 20 Prozent davon sollten dem sozialen Wohnungsbau zufallen – eine Festlegung, die ihr Chef, Oberbürgermeister Ingo Meyer, allerdings auf Nachfrage nicht so eindeutig vertreten wollte.

 

Am Widerstand der Kritiker änderten Dörings Ausführungen nichts. HAZ-Redakteur
Jan Fuhrhop hatte als Moderator phasenweise gut zu tun, die Debatte wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Letztlich blieb es auf dem Podium, auf dem Döring und
Detlef Hansen (SPD) als Vorsitzender des Stadtentwicklungs- Ausschusses die Pro- Positionen vertraten, während Kurt Warmbein als Sprecher zweier Bürgerinitiativen gegen eine Wasserkamp- Bebauung und Volker Spieth vom Mieterverein dagegen hielten, aber sachlich. Zusätzliche Würze brachten mehrere Experten, die HAZ-Redakteur Rainer Breda für Kurzinterviews auf die Bühne holte. Der Großteil der knapp 400 Zuhörer, das wurde am Applaus deutlich, war gegen ein Baugebiet auf dem Wasserkamp.

WOHNEN

Bis zum Jahr 2025 braucht Hildesheim 700 zusätzliche Ein- und Zweifamilienhäuser und 870 Wohnungen (davon 500 im sozialen Wohnungsbau) um den Bedarf zu decken. Diese Zahlen nannte Gutachterin Regina Höbel. In den nächsten Jahren sei mit einem weiteren leichten Anstieg der Einwohnerzahlen zu rechnen, zudem sei in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Arbeitsplätze klar gestiegen, auch dieser Trend könne sich fortsetzen. Nur am Wasserkamp gebe es die Chance, im großen Rahmen stadteigene Flächen zu entwickeln, betonte Stadtbaurätin Döring. Detlef Hansen sekundierte: Als Itzumer fände er es zwar schöner, wenn am Wasserkamp nicht gebaut würde. „Doch eine Stadt wie Hildesheim hat Notwendigkeiten, der Wasserkamp ist ohne Alternative.“ Schließlich gehöre der Stadt dort schon die Hälfte des Grundes, auf den Rest habe sie eine Option. Folgerung: Einfamilienhäuser und günstiger Wohnraum im großen Stil seien nur dort möglich. Das bekräftigte später auch Oberbürgermeister Ingo Meyer: „Wir müssen Menschen, die in unserer Stadt leben wollen, die Gelegenheit dazu geben.“ Schickte Hildesheim bauwillige junge Familien weg, „wäre das eine Katastrophe“.

 

Sparkassen-Vorstand Michael Senft, ebenfalls für ein Kurzinterview auf die Bühne gebeten, sprach von einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor: „Es geht auch darum, ob Fach- und Führungskräfte hiesiger Firmen bei uns Wohnraum finden oder nicht.“ Genug sozialer Wohnungsbau sei ebenso nötig, „sonst wäre das eine Aufkündigung des gesellschaftlichen Konsens.“ Viele Argumente also für ein Bebauung, die Kurt Warmbein von der Bürgerinitiative allerdings nicht beeindruckten. Zum einen sage das Gutachten von
Regina Höbel auch aus, dass es ab 2035 wieder abwärts gehe mit der
Einwohnerzahl – folglich drohten langfristig Überkapazitäten auf dem Immobilienmarkt. Auch, dass der Wasserkamp alternativlos sein solle, könne er nicht akzeptieren: „Man kann an vielen Stellen in der Stadt kleine Baugebiete realisieren, Baulücken schließen, in der Kernstadt wie in den Ortsteilen.“ Dies sei bei weitem die gesündere Entwicklung. Im Übrigen würden gerade in Itzum immer wieder bestehende Einfamilienhäuser frei, ein Trend, der sich aufgrund der Altersstruktur in den nächsten Jahren verstärken werde.
Döring widersprach: „Das reicht längst nicht.“

Überdies sei der Wasserkampeine landschaftliche Perle, so Warmbein weiter: „Bei jedem Windrad wird die Auswirkung aufs Landschaftsbild geprüft, das muss auch hier gemacht werden.“ Dass der Wasserkamp besonders günstig sei, weil er der Stadt schon zur Hälfte gehöre, sei auch nicht nachvollziehbar. Auch diese Hälfte hat die Stadt ja irgendwann gekauft und will das refinanzieren. Volker Spieth hielt der Stadt vor, die falschen Prioritäten zu setzen. „Das drängendste Problem in Hildesheim ist der Mangel an günstigen Wohnungen, da tun Sie seit Jahren viel zu wenig.“ Der Hinweis von Döring und Hansen, aufgrund eines neuen Förderprogramms des Landes lasse sich auch am Wasserkamp sozialer Wohnungsbau in größerem Umfang realisieren – auch in größerem Maße als im Ostend – überzeugte Spieth allenfalls bedingt.

 

VERKEHR

20 000 Fahrzeuge rollen schon jetzt täglich über die Marienburger Straße. Mit Baugebiet könnten es noch einmal gut 2000 hinzukommen, schätzen Gutachter. „Die Straße kann das aufnehmen“, sagte Stadtbaurätin Döring – und lieferte BI Mann Warmbein damit ungewollt eine Steilvorlage: „Ich mache mir keine Sorgen um die Straße, die schafft das. Ich sorge mich um die Menschen, die daran wohnen – für die wird es unerträglich.“

Döring betonte, würden Grenzwerte überschritten, werde die Stadt Schutzmaßnahmen prüfen – schränkte aber ein. „Wir werden nicht mehr tun, als gesetzlich vorgeschrieben.“ Im Übrigen hoffe sie, dass langfristig die Bedeutung des Autos im Stadtverkehr sinken werde: „Wir müssen uns mit alternativen Formen der Mobilität befassen, und ich bin überzeugt, dass sich da noch viel tun wird.“

 

Moderator Jan Fuhrhop bekam allerdings einen Sonderapplaus für die Feststellung, die „Trägheit der Menschen“ lasse keine schnelle Verkehrswende erwarten, und Warmbein legte munter nach: „Ich glaube kaum, dass die künftigen Wasserkamp-Bewohner ihre SUVs gegen Fahrräder eintauschen.“ Tatsächlich steigt wie berichtet die Zahl der in Stadt und Landkreis angemeldeten Autos von Jahr zu Jahr, liegt aktuell auf dem höchsten Stand aller Zeiten (die HAZ berichtete). Volker Spieth wurde bei dem Thema grundsätzlich: „Die Entwicklung Hildesheims ist im Moment so, dass immer mehr Menschen im Süden der Stadt wohnen, während im Norden die Arbeitsplätze liegen.“ Das habe zur Folge, dass viele Menschen zweimal am Tag die Stadt durchqueren müssten – die meisten mit dem Auto. Das spreche dafür, lieber viel kleine Bauflächen im Stadtgebiet zu schaffen statt eine große am Wasserkamp. Detlef Hansen schloss hingegen: „Bauen wir da nicht, ziehen die Leute ins Umland und fahren weitere Strecken zur Arbeit. Ist das klimafreundlich?“

 

UMWELT

Womit die Debatte beim Thema Umwelt angekommen war. Der Ornithologische Verein Hildesheim ist unzufrieden damit, wie intensiv die Stadt die Umweltverträglichkeit prüft, und kündigte sogar an, die EU-Kommission einzuschalten. Der Hildesheimer BUND Geschäftsführer Matthias Köhler unterstützte diese Kritik. Er sehe noch „Hohe Hürden“ bei der Verträglichkeit mit nahen Schutzgebieten. Wenn der Wasserkamp aber tatsächlich bebaut werde, sei es wichtig, die geplante Siedlung nachhaltig zu gestalten – „mit Gründächern, Versorgung mit Energie aus erneuerbaren Quellen und einem Verbot von Schottergärten“. Stadtbaurätin Döring versprach die geforderte intensive Prüfung der Umweltbelange: „Wir tun selbstverständlich alles, um die Planung rechtssicher zu gestalten – zumal Klagen wahrscheinlich sind.“

 

AUSBLICK

Ob die Stadt überhaupt ein Baugebiet am Wasserkamp plant, ist noch nicht entschieden. Dafür ist ein sogenannter Aufstellungsbeschluss im Stadtrat möglich, die nächste – öffentliche – politische Diskussion darüber ist für den 6. November im Stadtentwicklungs Ausschuss des Stadtrates geplant. Festgelegt haben sich bislang Oberbürgermeister Meyer und die AfD (dafür) sowie Grüne und Linke (dagegen). In SPD und CDU gibt es noch Diskussionen. Beispiel SPD: Detlef Hansen ist dafür, Itzums Ortsbürgermeisterin Beate König dagegen.

 

Ob sie deshalb auch im Stadtrat dagegen stimmt, ist allerdings unklar. Wenn die SPD insgesamt dafür sei, hoffe sie, ihre Position durch eine Enthaltung deutlich machen zu können, erklärte sie und erntete dafür einigen Unmut im Publikum. Frank Wodsack (CDU) sprach sich hingegen für „eine sinnvolle Teilbebauung“ aus, FDP und Unabhängige äußerten sich auf HAZ-Nachfrage aktuell nicht.

 

Gibt es bei der Grundsatzfrage zum Wasserkamp im Stadtrat eine Mehrheit, beginnt ein aufwendiges, jahrelanges Verfahren mit zahlreichen Prüfungen, öffentlichen Auslegungen und weiteren Abstimmungen, im Zuge des Verfahrens können Gegner Stellung beziehen und klagen.

 

Wir entwickeln alles, was möglich
ist.
Andrea Döring
Stadtbaurätin
Das ist nicht einfach ein
Rübenacker. Schönheit hat
auch ihren Wert.
Kurt Warmbein
Sprecher zweier
Bürgerinitiativen
Die Bodenpreise sind
der entscheidende
Faktor.
Detlef Hansen
Vorsitzender des
Stadtentwicklungs-
ausschusses
Es ist eine Mär, dass durch den
Wasserkamp woanders
Wohnungen frei werden.
Volker Spieth
Mieterverein

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(c) 2019 HAZ THEMA DES TAGES Donnerstag, 24. Oktober 2019
Von Tarek Abu Ajamieh