Klagen wegen akuter Wohnungsnot:

GBG-Chef hält Kritik für überzogen

Wohlfahrtsverbände und Sozialeinrichtungen schlagen Alarm: In Hildesheim fehle es zusehends an bezahlbarem Wohnraum für Geringerverdiener, Leistungsbezieher und Ältere. Die Lage sei inzwischen ähnlich angespannt wie in anderen, noch größeren Städten. Der Vorwurf: Die Stadtverwaltung habe sich seit der Auflösung des Amts für Wohnungswesen vor gut zehn Jahren immer weiter aus der Verantwortung gestohlen, es fehle eine Steuerung des Wohnungsmarkts und Investitionen in den sozialen Wohnungsbau. Neubauten im Stadtbereich würden nur noch nach dem Prinzip „Reich baut für Reich“ entstehen, klagt Volker Spieth, Geschäftsführer des Mietervereins. Von den angesichts der alternden Gesellschaft
dringend benötigten barrierefreien Wohnungen gebe es viel zu wenige – und die, die auf dem Markt kämen, seien für die meisten schlicht unerschwinglich, so Spieths ernüchterndes Bilanz. Auch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften wie KWG und GBG machten da keine Ausnahme. „Nur wer vorher Eigentum hatte und es verkauft hat, kann sich dann die Miete leisten.“ Frau S. ist eine aus der Gruppe der Älteren, die lange suchen musste, bis sie eine Wohnung fand. Sie möchte nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen, erzählt aber gerne, wie es ihr ergangen ist, um auf die Lage in der Stadt aufmerksam zu machen. Acht Monate lang war S. Vergeblich unterwegs, um für sich eine Bleibe zu finden, da ihr Mann ins Altenheim gekommen war. Letztlich wählte sie einen Kompromiss: eine Wohnung, die nicht per Fahrstuhl zu erreichen ist und ein schmales Bad hat, in das sie mit einem Rollstuhl nicht hineinpassen würde. Barrierefreiheit konnte sich die 79-Jährige nicht leisten – nun hofft sie, dass sie noch möglichst lange fit bleibt. Wer sich in der Stadt umhört, der stellt fest: Die Wohnungs-und Häuserknappheit trifft nicht nur die finanziell Schwächeren, auch Gutverdiener finden derzeit kaum Immobilien – immer mehr Familien, die gerne aus der zu klein gewordenen Wohnung aus- und in ein eigenes Haus einziehen würden, verzweifeln langsam am geschrumpften Markt. Doch deutlich gravierendere Folgen als für die Möchtegern-Käufer heimeligen Eigentums hat die angespannte Lage in der Stadt auf soziale Einrichtungen wie das Frauenhaus. Weil Bewohnerinnen wie Stephanie L. deutlich länger als Klientinnen früher nach Wohnungen suchen müssen, bevor sie aus der Schutzunterkunft ausziehen können, kann der Trägerverein weniger neue Frauen aufnehmen. „Wir haben nur acht Zimmer,“ sagt Mitarbeiterin Andrea Dittrich, „und die sind ständig belegt.“ Von Frauen wie Stephanie L., die vor Gewalt geflohen ist und Zuflucht fand. Nun traut sie sich gar nicht recht, sich zu freuen, obwohl sie am Morgen tatsächlich einen Mietvertrag für eine eigene Wohnung zugeschickt bekommen hat – schon zwei Mal hatte sie Verträge in der Hand, nur um kurz darauf zu hören zu bekommen: Tut uns leid, wir können Ihnen die Wohnung doch nicht geben. Neun Monate war sie in Hameln, Hannover und Hildesheim auf der Suche nach einer 50 bis 60 Quadratmeter großen Unterkunft für ihre Tochter und sich. 30 Wohnungen hat sie sich angesehen, sich drei Mal täglich durch die wichtigsten Online-Portale geklickt. Immer mehr Unterlagen verlangten die Eigentümer vorab, bevor man auch nur in die Nähe der Wohnung kommen könne: Pass-Kopie, Schufa-Auskunft, vorherige Mietanschriften. L. hat davon gehört, dass in Hannover bereits ein illegaler Makler-Markt entstanden sein soll: Unter der Hand vermitteln die Kontaktleute Wohnungen und kassieren dafür mitunter 1.500 Euro. Dass es inzwischen sogar in Hildesheim ein Art Wohnungs-Schwarzmarkt gibt, berichtet auch ein irakischer Flüchtling, den Daoud Naso vom Verein Asyl e.V. betreut. 800 Euro habe er an einen Hildesheimer bezahlt, um nach vergeblicher Suche an eine Wohnung zukommen. Seine Familie komme bald nach Deutschland, „ich wollte nicht riskieren, dass wir alle auf der Straße sitzen“, übersetzt Naso. Er berichtet zwar auch von positiven Beispielen, zahlreiche Eigentümer hätten sich gezielt an den Verein gewandt, um ihre Wohnungen an Geflüchtete zu vermieten. Doch insgesamt sei die Lage inzwischen angespannt, es sei immer schwieriger, bezahlbare Wohnungen zu finden. Rouven Aschemann kann da nur mit dem Kopf nicken. Er arbeitet für die ambulante Wohnungslosenhilfe. „Offensichtlich streiten sich in Hildesheim immer mehr Menschen um dieselben Wohnungen – unsere Klienten fallen dabei dann hinten runter.“ Wer die Wahl hat, entscheidet sich nicht unbedingt als erstes für jemanden, der vielleicht Alkohol-, Gewalt– oder andere Probleme hatte. Dabei wäre es besonders wichtig, so Aschemann, dass genau diese Personen eine feste Bleibe als Basis für einen Neustart bekämen. Wie auch im Frauenhaus sind die Plätze der von ihm betreuten Unterkunft im Langen Garten länger belegt, für neue Hilfsbedürftige wird seltener etwas frei. Die Kreisarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände und die Arbeitsgemeinschaft Sozialberatung fordern nun eine aktive Rolle der Stadt, um der Entwicklung zu begegnen (siehe Kasten). Daniela Knoop, Leiterin der Unterkunft „Herberge zur Heimat“ berichtet unterdessen von zahlreichen Anrufen, die sie derzeit bekomme, weil in Drispenstedt gerade eine zweite Unterkunft mit 17 Wohnungen ausgebaut werde, die bald fertig sei. „Die Leute lesen auf dem Bauschild, dass dort Wohnungen entstehen und wollen unbedingt eine haben“, sagt sie und fügt fast ungläubig hinzu: „Es sind viele Anrufer dabei, die sind gar nicht obdachlos. Die finden aber wohl einfach keine Wohnung.“ Der Geschäftsführer der Gemeinnützigen Baugesellschaft GBG, Jens Mahnken, hat nur sehr begrenztes Verständnis für die Klagen der Sozial- und Wohlfahrteinrichtungen. Ja, räumt er ein, die Nachfrage nach Wohnraum sei gestiegen, das Angebot etwas gesunken, wodurch die Preise insgesamt auch leicht angezogen hätten. Doch die Vorwürfe, man vernachlässige die finanziell Schwächeren, weist er entschieden zurück. „Wenn man unseren gesamten Bestand betrachtet, verlangt die GBG eine Durchschnittsmiete von 5,27 Euro pro Quadratmeter. Das ist kein Luxuswohnen.“ Er verweist auf das GBG-Engagement in Drispenstedt, wo in 1.800 Wohnungen der Durchschnitt sogar bei unter 5 Euro liege. „Wir brauchen in Hildesheim eine gute Mischung aus günstigerem und gehobenem Wohnraum“, sagt Mahnken. Er sieht kein dramatisches Ungleichgewicht.
„Hildesheim“, so der GBG-Chef „gehört immer noch zu den günstigsten Städten Deutschlands.“

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(c) 2017 Kehrwieder am Sonntag vom 25.06.2017
Jan Fuhrhop