Mieter im Fahrenheitgebiet klagen über hohe Nebenkosten-Nachzahlungen

Furcht vor Verdrängung: Wird das Fahrenheitgebiet für viele unbezahlbar?

(jan) Hildesheim. “Es war eigentlich zu schön, wahr zu sein. Es hat sich damals alles so gut angehört.” Vielleicht, so denkt Leyla Canbolat heute, hätte sie den Versprechungen nicht glauben sollen, dass die neu sanierten Wohnungen im Fahrenheitgebiet auf Dauer bezahlbar bleiben würden. Keiner der alten Mieter des “Problemviertels” sollte verdrängt werden, versprachen die Chefs der Immobilienfirma Wertinvestition, als sie 2004 mehr als 300 Wohnungen von der Gemeinnützigen Baugesellschaft (GBG) kauften, um sie von Grund auf zu sanieren. Die Kaltmiete würde nicht über fünf Euro pro Quadratmeter liegen, so die mündlichen Zusagen damals. Die Realität sieht heute anders aus. Nach Angaben Volker Spieths, Geschäftsführer des Hildesheimer Mietervereins, zahlen viele Mieter der sanierten Wohnungen zwischen fünf und 5,60 Euro.

Noch stärker belasten zahlreiche Fahrenheitmieter aber extrem hohe Nachzahlungen von Nebenkosten. Schon die Abrechnungen für 2007 hätten viele fassungslos gemacht. Die Nachzahlungsforderungen der zuständigen Immobilienverwaltung Rentei (eine Tochter der Wertinvestition) für 2008 seien ebenfalls heftig. Von 1.000, 1.500 bis zu 2.500 Euro berichten Spieth und einige Mieter.

Die Wertinvestition erklärt die Forderungen mit hohen Heizkosten, “da die letzte Heizperiode, bedingt durch den , seit langer Zeit mal wieder, strengeren Winter länger ausfiel.” Zudem habe die Rentei den Mietern geraten, die Vorauszahlungen zu erhöhen – das hätten aber viele auf Anraten des Mietervereins nicht getan.

Fahrenheitmieter wie Leyla Canbolat und Wolfgang Klukas berichten allerdings nicht nur von hohen Heizkosten, sondern von zahlreichen weiteren Nebenkosten, die von der Hausverwaltung nach und nach eingeführt worden seien. So müssen die Bewohner auch für Treppenreinigung, Gartenpflege und Hausmeisterdienste bezahlen. Nach Angaben Spieths hätten er, Sozialarbeiter Jörg Piprek aus dem Stadtteiltreff “Broadway” und Guter-Hirt-Diakon Wilfried Otto seit rund einem Jahr immer wieder das Gespräch mit der Rentei gesucht, um nach Möglichkeiten zu suchen, die Nebenkosten zu senken. Doch die Hausverwaltung habe “keinerlei Interesse an einem Einvernehmen” kritisieren die drei. Vorschläge haben sie und die Mieter mehrere: So könnten die Bewohner, wie ursprünglich geplant, die Treppenhausreinigung und die Gartenpflege selbst übernehmen und die Nebenkosten dementsprechend gesenkt werden. Doch die Rentei hält von derlei offensichtlich nichts.

Verdrängung aus der Heimat
In Spieths Augen ist klar: Die Nebenkosten sind in den neuen Verträgen von Anfang an zu niedrig angesetzt gewesen. Ob dies bewusst geschehen sein könnte, um die Mieter zunächst in Sicherheit zu wiegen oder schlicht falsch kalkuliert worden ist will Spieth nicht bewerten. Der Grund sei zweitrangig – das Ergebnis das gleiche: Den Warmmieten nach ist das Viertel mittlerweile eines der teuersten in ganz Hildesheim, klagt der Mieterverein-Chef. Das könnte dramatische Folgen haben, so seine Befürchtung, die etliche Anwohner, Wilfried Otto und Jörg Piprek teilen – nämlich die Verdrängung der alten Fahrenheitbewohner. “Wenn diese Verdrängung stattfindet, dann ist das das Scheitern des Projekts Soziale Stadt.”

Unter diesem Titel wurde die Sanierung des Umfelds im Fahrenheitgebiet mit 1,8 Millionen Euro von Stadt, Land und Bund gefördert: Das Viertel sollte mit Hilfe der Schönheitskur vom alten Schmuddelimage befreit werden. Die Wertinvestition lockte ihrerseits Käufer für die renovierten Wohnungen, da es für Immobilien in offiziellen Sanierungsgebieten günstige Abschreibungsmöglichkeiten gibt.

“Das hier ist nicht London oder New York”, hatte der damalige Fahrenheit-Projektleiter bei der Wertinvestition Hans-Joachim Kruse 2006 im Gespräch mit dem KEHRWIEDER noch gesagt. “Das Fahrenheitgebiet könnte nie ein Reichenviertel werden.”
Genau das aber fürchten nun aber die Mieter, denen die eventuelle vor den Kosten in andere, günstigere Stadtteile flüchten müssen. Volker Spieth erkennt in dieser Entwicklung ein Phänomen, das in der Tat in Metropolen wie London und New York seit längerem immer wieder beobachtet und von Sozialwissenschaftlern als “Gentrifizierung” (umgangssprachlich auch als “Yuppisierung”) bezeichnet wird: Die gezielte Aufwertung und Modernisierung eines Stadtviertels sorgt dafür, dass die ursprünglichen Bewohner vertrieben werden und sich neue, reichere Mieter ansiedeln.

Im Hildesheimer Jobcenter, das für mehrere Klienten im Fahrenheitgebiet die Mieten zahlt, ist das “Thema Nebenkosten” durchaus bekannt, wie Sprecherin Janine Alfus dem KEHRWIEDER bestätigt. Mehreren Mietern ist bereits erklärt worden: Sie müssen sich eine billigere Wohnung suchen.

Noch hoffen die Fahrenheitler auf eine Lösung. Spieth sieht auch die Stadtverwaltung in der Verantwortung: “Sie muss mindestens eine moderierende Rolle übernehmen!”
Leyla Canbolat graut es vor dem Tag, an dem sie wirklich erkennen müsste: Wir müssen hier weg, weil es nicht mehr zu bezahlen ist. “Meine Eltern haben hier gewohnt. Ich wohne hier und meine Kinder sollen hier weiterhin leben. Es ist doch unsere Heimat.”

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Kehrwieder am Sonntag